Salzburg


Der Weg von München hieher ist sehr traurig. Er geht durch eine ungeheure Ebene, die nur hie und da von kleinen Anhöhen unterbrochen wird. Das viele Schwarzholz, die elenden, dünn zerstreuten Bauernhütten, der Mangel an Städten, die Unsicherheit vor Räubern, alles macht einen soviel als möglich aus Bayern hinauseilen. Auf dem langen Wege von siebzehn deutschen Meilen sieht man keinen nennenswürdigen Ort als das schwarze Wasserburg in seinem tiefen Loch zwischen öden Sandhügeln, wodurch sich der Inn krümmt und zwischen denen er eine Erdzunge bildet, worauf der Ort sehr seltsam sitzt.


An der salzburgischen Grenze wird es besser. Die Aussichten sind mannigfaltiger, die Wohnungen der Bauern reinlicher und lebhafter von Aussehn, und das Land ist viel besser gebaut. - Ohngefähr eine Stunde vor dieser Stadt stellte sich einer der schönsten Prospekte dar, die ich je gesehen. Er bildet ein ungeheures Amphitheater. Im Hintergrunde erheben nackte Felsen ihre trotzigen Häupter zum Himmel empor. Einige derselben, die etwas zur Seite stehn, haben die Gestalt von Pyramiden. Diese abenteuerliche Bergmasse verliert sich stufenweis in waldichte Berge und dann zu beiden Seiten her in schöne, zum Teil wohl angebaute Hügel. Mitten auf dem Grund dieser Bühne liegt die Stadt, über welche das Schloß auf einem hohen Felsen emporragt. Der Salzachfluß gibt der ohnehin so mannigfaltigen Landschaft noch mehr Leben. Hie und da breitet er sich ziemlich aus, und seine Ufer sind an manchen Orten mit schönen Partien Gehölze beschattet.

Mit der einförmigen und öden Gegend um München sticht die Lage dieser Stadt ungemein ab. Sie ist äußerst sonderbar und ein bewundernswürdiges Spiel der Natur und Kunst. Der Strom teilt sie in zwei ungleiche Teile. Auf der Westseite desselben, worauf der größere Teil der Stadt liegt, erhebt sich aus einer weiten Ebene ein hoher, runder, steiler und harter Fels, der das Schloß wie eine Krone trägt. Vom Fuß dieses Felsen zieht sich längst dem Strom herab, in einer geringen Entfernung von demselben, um diesen Teil der Stadt her ein langer Berg von festem Sandstein, der sowohl von innen als außen senkrecht wie eine Mauer abgehauen und mehrere hundert Fuß hoch ist. Auf diesem natürlichen Wall, der weit über die hohen Häuser der Stadt emporragt, steht ein starkes Gehölze, und es liegen verschiedene Landgüter darauf. Man hat an einem Ort, wo er gegen sechzig Schritte breit ist, ein schönes Tor durchgehauen. Auf der andern Seite des Flusses steht der abenteuerlichste Fels, den man sehen mag. Er kehrt gegen eine schöne Ebene abwärts des Stromes eine von der Natur abgehauene nackte Wand, die eine halbe Stunde lang und in der Mitte wohl fünfhundert Fuß hoch ist. Aufwärts des Stromes verliert sich sein behölzter Abhang sanft in eine andere schöne Ebene. Ich kann dir seine sonderbare Lage nicht besser geben, als wenn du die Stadt zum Mittelpunkt eines zwei Stunden langen Diameters 1 , den der Fluß bildet, annimmst, einen halben Zirkel von schönen Bergen gegen Osten herumziehst und diesen Felsen dann als einen Radius in die Mitte setzest, so daß er zwischen der Stadt und dem Bogen der Berge wie eine Querscheidewand steht und die Fläche des Halbzirkels in zwei gleiche Teile schneidet. Da, wo er dem größern Teil der Stadt gegenüber an den Fluß stößt, liegt der kleinere Teil derselben, und von seiner gegen Norden zu senkrecht abgehauenen langen Wand ziehen sich die Festungswerke in einem Viertelzirkel bis an den Fluß herab. Eine einzige, sehr enge Straße geht zwischen dem Fluß und seinem Abhang gegen Süden hin.


Die Natur hat in einer wunderlichen Laune dem Strom seinen Weg durch die abgerissenen Felsen angewiesen. Zwischen dem sonderbaren Wall des größern Teils der Stadt und den nächsten Bergen gegen Westen ist eine ganz gleiche, zwei Stunden weite und tiefe Ebene, die sich weit über der Stadt hinauf längst dem Fluß hinzieht. Wenn man die Gegend beschaut, so sollte man meinen, er müßte seinen Weg durch diese Ebene nehmen, um sich in seinem wilden Lauf mehr ausbreiten zu können. Aber anstatt dessen drängt er sich ungestüm durch die Felsen durch, welche die Stadt umgeben und sich seinem Lauf entgegenzusetzen scheinen. Nur aus der erstaunlichen Wut und Gewalt, womit er hastig sein Bette gräbt, läßt sich dieser eigensinnige Lauf erklären. - Das Land umher sieht überhaupt sehr romantisch aus, und ich sehe wohl, ich werde mich länger hier aufhalten, als ich anfangs dachte.


Die Stadt ist auch innerlich sehr schön. Die Häuser sind hoch und durchaus von Stein gebaut. Die Mauern gehn nach italienischer Art über die flachen Dächer hinauf, so daß man auf denselben durch ganze lange Straßen gehen kann. Die Domkirche ist die schönste, die ich auf der ganzen Reise von Paris hieher gesehen, und nach dem verkleinerten und simplifizierten Riß der Peterskirche zu Rom von großen Quaderstücken gebaut. Das Portal ist von Marmor und das Ganze mit Kupfer gedeckt. Vor dem Portal ist ein großer viereckter Platz, mit Schwibbögen und Galerien eingefangen, und an denselben stoßen die fürstliche Residenz und die Abtei St. Peter. Mitten auf diesem Platz steht eine schöne Statue der Maria in Blei in übermenschlicher Größe. Zu beiden Seiten der Kirche sind große, mit schönen Gebäuden umgebne Plätze. Mitten auf dem zur Linken steht eine der prächtigsten Fontänen von Marmor, die ich je gesehen, mit einigen kostbaren Figuren in Riesengröße. Auf jenen zur Rechten ist seitwärts ein Brunnen angebracht, der sich mit dem ersten gar nicht vergleichen läßt und dessen Neptun eine sehr erbärmliche Figur macht. - Die Stadt hat noch mehrere vortreffliche Gebäude und Statuen, die einen erinnern, daß man nicht weit von den italienischen Grenzen entfernt ist.


Soweit ich die Einwohner bisher kenne, scheinen sie sehr gesellig, offen und munter und für die Fremden ungemein eingenommen zu sein. Indessen, bis ich dich genauer mit ihnen bekannt machen kann, muß ich dir von einigen Ausfällen Nachricht geben, die ich von München aus in verschiedene Gegenden Bayerns getan habe.


Die bischöfliche Residenz Freising ist eben kein schlecht gebautes, aber im Grunde doch ein sehr armseliges Städtchen, das bloß von Pfaffen, wohlfeilen Nymphen, einigen elenden Studenten und armen Handwerkern besteht. Das fürstliche Schloß hat eine angenehme Lage auf einem abgerissenen Berg, worauf es eine herrliche Aussicht über einen großen Teil von Bayern und auf das tirolische und salzburgische Gebirge beherrscht. Die Besitzungen des Bischofs liegen durch Bayern und Österreich zerstreut, und so gering sie auch alle sind, so hat er doch einen großen Kreuzgang damit ganz bemalen lassen. Seine Einkünfte belaufen sich auf ohngefähr 130.000 Gulden, und er hat seinen Obristhofmeister, seinen Oberjägermeister, seine Räte, seine Leibwache, seine Musik und seine Küchen- und Kellermeister, welche letztre ohne Zweifel das meiste zu tun haben.


Von Freising reiste ich weiter nach Regensburg, einer finstern, melancholischen und sehr großen Reichsstadt, die, wie du weißt, der Sitz des Reichstages ist und ohngefähr 22.000 Menschen enthält. Ich weiß dir wahrhaftig nichts Gutes und Schönes von ihr zu sagen, als daß die Brücke über die Donau sehr massiv ist und der Teufel sie gebaut hat und daß ich im Gasthaus "Zum weißen Lamm" vortrefflich einquartiert war. Der Wirt ist der artigste und billigste, den ich noch in Deutschland gefunden. - Man sollte glauben, die vielen Gesandten müßten die Stadt sehr lebhaft machen. Aber du glaubst nicht, wie da alles tot ist. Wäre der Fürst von Thurn und Taxis, kaiserlicher Prinzipalkommissarius und Reichsobristpostmeister, nicht da, so wüßte man gar nicht, daß der Reichstag in der Stadt säße. Aber dieser Herr, dessen Einkünfte sich auf ohngefähr 400.000 Gulden belaufen, gibt Opern, Komödien, Hetzen, Bälle und Feuerwerke. Er ist ein herzguter Mann, der durch sein edles Betragen und seine Großmut seinem Stand, seinem Souverän und seinem Vaterland Ehre macht. Er macht im eigentlichsten Verstand die Honneurs des Reichstages; denn die übrigen Gesandten der Reichsstände müssen wegen ihres geringen Gehalts sehr eingezogen leben. Viele fahren in Mietkutschen, und die Handelsleute unter der Bürgerschaft beklagen sich sehr, daß sie ihnen das Brot nehmen. Da alles, was an die Gesandten kömmt, zollfrei ist, so machen viele oder doch ihre Bedienten, Kommissionärs und Kaufleute ihren Profit darunter; und es mag wirklich wahr sein, was mir ein angesehener Bürger sagte, daß Regensburg mehr Schaden als Vorteil von dem Reichstag habe. Auch die Gesandten der größern Häuser, deren einige ein ansehnliches Vermögen haben, leben sehr stille. Die fremden Minister regulieren sich nach diesen, und so kann man viele Wochen in dieser Stadt sein, ohne von der Versammlung des Reichstages etwas zu spüren. Unter den Fremden nimmt sich unser Gesandter durch seine Kenntnisse sehr aus. Nicht nur er, sondern besonders auch unser Legationssekretär, Herr Herissant, eines Pariser Buchhändlers Sohn, sind sowohl mit der Verfassung Deutschlands als auch mit der Literatur desselben sehr genau bekannt.


Die Geschäfte des Reichstages gehn sehr langsam. Die Parteien, die sich bei wichtigern Vorfällen bilden, und die Eifersucht der größern Häuser auf ihren gegenseitigen Einfluß sind hauptsächlich daran schuld, denn die Form des Reichstages selbst ist ziemlich einfach. Er besteht aus drei Kollegien, dem kurfürstlichen, fürstlichen und städtischen. Die beiden erstern werden die höhern genannt, ob sie schon vor dem letztern in den gemeinschaftlichen Reichstagssachen nichts Wesentliches voraushaben. Alle drei Kollegien versammeln sich in einem Saal, um den kaiserlichen Vortrag zu vernehmen. Hierauf verteilen sie sich in die drei Kammern, in deren jeder die Stimmen nach einer festgesetzten Ordnung gesammelt werden. Die Mehrheit entscheidet sowohl in den drei besondern Kollegien als auch in den Resultaten derselben. Sind alle drei Kammern einig, so wird ein Reichsschluß abgefaßt und dieser als ein Reichsgutachten dem Kaiser oder dessen Prinzipalkommissar vorgelegt. Wenn ein Kollegium den zwei andern widerspricht, so wird sein Schluß dem Gutachten der zwei andern in der Relation an den Kaiser beigeführt. Die Reichsschlüsse werden sogleich vollzogen und beim Ende eines Reichstages in den Reichsabschied gebracht.


Das Kurfürstenkollegium 2 hat in Betracht der geringen Anzahl von Stimmen, woraus es besteht und die jedem der zwei andern viel zahlreichern Kollegien das Gleichgewicht halten, besonders aber dadurch ein großes Übergewicht, daß die fünf weltlichen Glieder desselben auch in dem Fürstenkollegium gegen zwanzig Stimmen haben. Seit dem Tod des letztern Kurfürsten von Bayern besteht es nur aus acht Stimmen, worunter der Kurfürst und Erzbischof von Mainz als der erste aller Reichsstände das Direktorium führt. Es ist nicht entschieden, wer im Fall der Gleichheit der Stimmen den Ausschlag geben solle, und da dieser Fall bei einer so kleinen Anzahl doch oft zu erwarten ist, so hofft man die neunte Kurwürde in dem Haus Württemberg oder Hessen-Kassel wieder aufleben zu sehen. Nur die Eifersucht einiger Kurhäuser, daß Österreich nicht einen Kandidaten in Vorschlag bringen möchte, der sein unzertrennlicher Anhänger sein müßte, steht diesem Entwurf im Weg.


Das Fürstenkollegium zählt in allem hundert Stimmen, worunter dreiunddreißig geistliche, einundsechzig weltliche und sechs Kollektivstimmen sind. Diese bestehn aus den zwei Bänken der Reichsprälaten und Äbtissinnen, nämlich der schwäbischen und rheinischen, und aus den vier Kollegien der Reichsgrafen, nämlich dem wetterauischen, schwäbischen, westfälischen und fränkischen. Jedes Grafenkollegium und jede Prälatenbank gilt für eine Fürstenstimme. An der schwäbischen Prälatenstimme haben zwanzig und an der rheinischen neunzehn Glieder Anteil. Das wetterauische Grafenkollegium zählt wirklich zehn, das schwäbische zwanzig, das fränkische sechzehn und das westfälische vierunddreißig Glieder. Es haben sich viele Grafen und Herren, die in dieser Zahl nicht mitbegriffen sind, von ihren Kollegien abgesondert, weil sie in den Fürstenstand erhoben worden, aber noch keinen Sitz auf dem Reichstag erhalten haben. Andre sind ausgeschlossen worden, und noch andre Grafenstimmen ruhen, weil die Herrschaften, denen sie ankleben, an größere Häuser gefallen sind, die es nicht des Werts achten, eine Grafenstimme zu führen, welche im Grunde auch äußerst unerheblich ist. - Das Fürstenkollegium hat das Eigne, daß ein Haus mehrere Stimmen haben kann; so hat der jetzige Kurfürst von Pfalzbayern sieben, und sein Nachfolger, der Herzog von Zweibrücken, wird acht Stimmen haben; der König von Preußen hat fünf und nach Absterben des regierenden Fürsten von Ansbach und Bayreuth sieben, und der Kurfürst von Braunschweig hat auch fünf Stimmen, weil der Reichsfürstenstand nicht auf der Person, sondern auf dem Lande beruht und eine Person mehrere Länder besitzen kann, deren jedem der Fürstenstand besonders anklebt. Im Vorsitz des Fürstenkollegiums wechseln Österreich und Salzburg täglich miteinander ab. Der Erzbischof von Besancon und der König von Sardinien als Herzog von Savoyen beschicken den Reichstag schon seit langer Zeit nicht mehr, und das Fürstenkollegium besteht also wirklich nur aus achtundneunzig Stimmen; das Kollegium der Reichsstädte besteht aus einundfünfzig Stimmen und ist in zwei Bänke, nämlich die rheinische und schwäbische, geteilt; jene hat vierzehn und diese siebenunddreißig Sitze. Die Stadt, worin der Reichstag gehalten wird, führt das Direktorium.


Der kaiserliche Hof hat auf alle drei Kollegien einen sehr großen Einfluß. In der Kammer der Kurfürsten hat er die drei Geistlichen fast immer auf seiner Seite, weil sie in neuern Zeiten gemeiniglich seine Kreaturen sind. Er spart weder Geld noch Drohungen, noch Versprechungen, um die Domherren zu Mainz, Trier und Köln bei der Wahl eines neuen Erzbischofs anstatt des Heiligen Geistes, den sie feierlich anrufen, zu inspirieren. Ehedem wußte sich unser Hof durch die nämlichen Mittel einen großen Einfluß auf das deutsche Reich zu verschaffen, aber nun sind ihm durch die Wachsamkeit und Tätigkeit des Wiener Hofes diese Kanäle auf immer verstopft. Im Fürstenkollegium hat er den nämlichen Vorteil. Fast alle geistliche Fürsten sind seine wahren Söhne. Das Domkapitel zu Lüttich ist das einzige, das sich in neuern Zeiten bei einer Fürstenwahl gegen den kaiserlichen Einfluß wirksam gesträubt hat. Nebst dem hat dieser Hof seit langer Zeit die Maxime, seine Vasallen in seinen Erblanden, wenn sie irgend nur ein kleines unmittelbares Reichsgut besitzen, zu Fürsten zu machen und ihnen Sitz und Stimme auf dem Reichstag zu verschaffen. So kamen die von Lobkowitz, Dietrichstein, Schwarzenberg, Liechtenstein, Auersperg und die von Thurn und Taxis, aller Protestationen der alten Fürsten ungeachtet, in den Reichsfürstenrat, bloß um den Einfluß des Hauses Österreich zu verstärken. Die Herzoge von Aremberg werden zwar unter die alten Fürsten gezählt, aber der größte Teil ihrer Güter liegt auch in den österreichischen Erblanden, und sie hängen fast gänzlich vom Hof zu Wien ab. Mehrere andre der alten Häuser müssen sich wegen der Lage ihrer Länder immer zu Österreich halten, und so kann man in jedem Fall beinahe die Hälfte aller Fürsten voraus zählen, die immer bereit sind, dem kaiserlichen Vortrag ihr Ja zuzuwerfen. - Im Kollegium der Städte herrscht der Kaiser fast uneingeschränkt. Sie sind fast alle im Gedränge ihrer benachbarten mächtigern Mitstände, wo sie des besondern Schutzes des Wiener Hofes bedörfen, um nicht gänzlich unterdrückt zu werden.

So übermächtig nun auch in diesen Umständen der Einfluß des kaiserlichen Hofes sein sollte, so wußten die Reichsstände doch noch einen Damm anzubringen, der den Strom desselben sehr oft bricht. Mably hat in seinen "Bemerkungen über die Geschichte Frankreichs" richtig bemerkt, daß, wenn man die Stände des deutschen Reichs als unabhängige Mächte betrachtet, die sich zu ihrer Verteidigung miteinander verbunden haben, man keine weisern Maßregeln erdenken könne, als die sie immer ergriffen haben, um ihre Freiheit gegen die innere Vorgewaltigungen sicherzustellen. Die Definition der Verfassung des Reiches: "Est confusio divinitus conservata." (Sie ist eine durch Gottes Allmacht erhaltene Verwirrung) gilt insoweit, als man, irrigerweise, das Reich als einen einzigen selbständigen Staat ansieht; aber betrachtet man es in dem rechten Gesichtspunkt als eine Sammlung vieler freier Staaten, die sich in ein gewisses System zusammengetan haben, so erblickt man anstatt der Verwirrung sehr viel Ordnung und anstatt dem blinden Verhängnis viel Klugheit und Vorsicht. - Der Damm, wovon ich dir sagte und den die Reichsstände gegen die große Partei des kaiserlichen Hofes angelegt haben, ist das Gesetz, "daß die Mehrheit der Stimmen in den Reichskollegien nicht entscheiden solle, wenn es die Religion oder solche Sachen betrifft, worin die Stände nicht als ein Körper betrachtet werden können oder wo die Katholiken einer und die Protestanten einer andern Meinung sind"... In diesen Fällen gehn die Kollegien in Teile, und wenn auch ein Teil noch so gering an Zahl ist, so wird sein Schluß doch jenem des zahlreichern Teils gleich gehalten. Bloß die Religion hat zwar diesem Gesetz den Ursprung gegeben, aber in neuern Zeiten wußte auch die Politik guten Gebrauch davon zu machen, und auch den Katholiken, die dem kaiserlichen Hof anhängen mußten, kam es zugut, daß sich die geringere Zahl der Protestanten dem Kaiser nachdrücklich widersetzen konnte. Seitdem die Macht des Königs von Preußen so erstaunlich gestiegen ist, steht er an der Spitze der protestantischen Partei, obschon Sachsen eigentlich das Direktorium derselben führt, und er protestiert oft sehr nachdrücklich gegen Dinge, die mit der Religion eben nicht in der engsten Verbindung stehen.


Von München wanderte ich auch nach Innsbruck und noch etwas weiter ins Tirol, ich will dir aber meine Nachrichten davon bis dahin aufsparen, wo ich sie im Zusammenhang mit den österreichischen Landen besser werde anbringen können, und dieser Brief hat ohnehin schon, wie ich sehe, die gehörige Länge. Also leb wohl.


Mit Entzücken durchwandre ich nun dieses herrliche Land, das mit dem gebirgichten Teil der Schweiz sehr viel Ähnlichkeit hat. Bald bin ich auf unermeßlichen Gipfeln, wo ich, wie der Herr der Welt, um mich her die Wolkenheere, unabsehbare Ebenen, unzählige Seen, Flüsse und Bäche, schauerlich tiefe Täler und die kahlen Häupter von ungeheuern Granitfelsen mit dem Gefühl, das den himmlischen Regionen eigen ist, zu meinen Füßen betrachte. Bald lagere ich mich auf dem hohen Abhang eines Berges in die Hütte einer Sendtin (Hirtin), die mit ihrer Herde den ganzen Sommer durch in dieser überirdischen Gegend wohnt, von niemand als bisweilen von ihrem Liebhaber, der oft vier bis sechs Stunden zu klettern hat, einem Gemsjäger oder allenfalls von einem irrenden Ritter meiner Art besucht wird, und da lebe ich einen Tag wie ein Patriarch der Vorwelt bei Milch und Käs, zähle die Herde, die sich abends auf einen Pfiff des Mädchens um die Hütte her versammelt und die in diesem Augenblick so gut als mein ist, schlafe auf einem Büschel Heu sanfter als du auf deinen hypochondrischen Federn und genieße dann des Schauspiels der aufgehenden Sonne mit einer Wollust, die du in der Oper, Komödie, auf dem Ball und auf allen den Gemeinplätzen des Vergnügens vergeblich suchst. Bald besuch ich einen See im Busen hoher Berge, und doppelt lieb ist mir's, wenn ich ihn bei Anbruch des Tages mit einem Nebel bedeckt finde. Mit wahrem Entzücken seh ich dann zu, wie ihn die aufgehende Sonne in dem Tal einpreßt und niederdrückt, daß die glänzenden Häupter der Berge weit drüber hinausragen, wie der Wind nach und nach den Spiegel aufdeckt und der Nebel sich wie ein Nachtgespenst durch die Einschnitte der Berge in die angrenzenden Klüfte verkriecht. Dann mache ich eine Spazierfahrt in einem ausgehöhlten Baum, der hierzulande meistens die Dienste eines Schiffes tun muß, und frühstücke dabei mit köstlicher Butter und Honig aus einer benachbarten Bauernhütte und lache dich laut aus, wenn es mir einfällt, daß du soeben in deinem gelehrten Schlafrock und mit deiner kritischen Schlafmütze am Teetische sitzest, mir dem Tee eine ebenso wässerichte und fade Brochure du jour 3 hinabschluckst und von all dem Geschlampe Blähungen bekömmst, die du dann mit Rhabarber und all dem medizinischen Vorrat in deinem Glaskästchen umsonst wieder abzutreiben suchst.


Einer meiner Lieblingsplätze ist der nur zwei Stunden von hier entlegene Untersberg. Gegen die Stadt zu stellt er eine ungeheure Pyramide dar, aber rückwärts zieht sich sein holperichter und kahler Felsenrücken wohl auf zwei Stunden in die Länge, und man braucht gegen sechs bis sieben Stunden, um ihn an seinem Fuß zu umgehen. Auf dem gewöhnlichen Weg kann man ihn von seinem Fuß an in fünf Stunden ersteigen, aber ein geübter Gemsjäger, der wie eine Katze klettern kann, braucht nicht gar drei Stunden dazu. Auf demselben hat man eine grenzenlose Aussicht auf das flache Land von Bayern. Auf den Türmen von München, welches siebzehn Meilen entlegen ist, sieht man seinen Gipfel sehr deutlich. Man zählt gegen neun Seen in dem Gesichtskreis umher. Die schönste Partie der Aussicht ist das Fürstentum Berchtesgaden, welches dem Berg gegen Süden liegt und in einem waldichten Tal besteht, das von den abenteuerlichsten Granitgipfeln ringsum eingeschlossen ist. Unter diesen nimmt sich der Watzmann durch seine vollkommene Kegelform vorzüglich aus. Mitten durch die finstere Waldung dieses Tales leuchten einige Seen hervor, die eine unbeschreiblich schöne Wirkung machen. Die Aussicht in einige benachbarte salzburgische Täler ist nicht weniger schön.


Auch dieser Berg scheint Buffons 4 Bergsystern zu bestätigen. Er ist eine in den Urstoff der Erde eingewurzelte Granitmasse, auf deren tiefern Abhängen und Einbiegungen hie und da Sand- und Kalchsteine wie vom Wasser angeschwemmt liegen. - Die unterste Gegend desselben ist mit Wald bewachsen und hat einige schöne Brüche von rötlichtem und weißem Marmor. Auf dem Schutt eines dieser Brüche hat man eine herrliche Aussicht nach der Stadt zu. In einiger Entfernung von demselben ist in einer wilden Kluft des Berges ein merkwürdiger Wasserfall. Ein starker Bach, der aber im Frühling, wenn der Schnee zu schmelzen beginnt, viel beträchtlicher sein soll, als er jetzt ist, bricht aus einer Felsenritze hervor, in dessen Mündung man vermittelst einer durch Kunst gehauenen Treppe kommen kann. In dem Ritz, worin man für Kälte schauert, hört man im Innern des Berges ein dumpfes Getöse, wie einen weit entfernten Donner. Wahrscheinlich enthält der Berg in seinem Eingeweide einen See, in den das Schnee- und Regenwasser von außen eindringt und dessen Fall das Getöse verursacht. Ohne Zweifel wird dieses innere Gewässer mit der Zeit dem Berge verderblich sein. Das Volk in der Gegend erzählt sich, Kaiser Karl der Große sei mit seiner ganzen Armee in diesen Berg bis an den jüngsten Tag eingeschlossen und mache bis dahin zu seinem Zeitvertreib das schauerliche Gepolter. An einem gewissen Tag des Jahres sieht man ihn nachts um 12 Uhr mit dem Gefolge von seinen Ministern und Generälen in einer Prozession in die Domkirche zu Salzburg ziehen. Von Zauberern, deren weiße Bärte in der Länge der Zeit zehn- und zwanzigmal um die Tische herumgewachsen sind, an denen sie im Berge schlafend liegen, von tausendjährigen Eremiten, die verirrte Gemsjäger in das Innere des Berges geführt und ihnen darin Feenpaläste von Gold und Edelgesteinen gezeigt haben, wollte ich dir eine Menge erzählen, wenn du nicht schon die Wunderdinge kenntest, die in der Sierra Morena beim Ursprung des Guadiana 5 zu finden sind. Ich könnte dir ein Manuskript mitteilen, worin diese Geschichten aktenmäßig bescheinigt und vom Gerichte bestätigt sind. Aus der Spalte, worin man den großen Karl spuken hört, stürzt der Bach mit einem starken Geräusche und in den mannigfaltigsten Kaskaden durch einen tiefen und engen Schlund hinab, den er in den harten Marmor selbst gegraben zu haben scheint. Hie und da hat er sich in seinem Fall Marmorbecken ausgehöhlt, die keine Kunst schöner glätten und runden könnte. Ein Liebhaber von Altertümern in der Nachbarschaft ist sogar versucht worden, einige derselben für altrömische Bäder anzusehen. Ganz unten am Fuß des Berges, hinter einer Mühle, bietet der Wasserfall einen sehr angenehmen Anblick dar. Der Sturz ist hier zwar nicht hoch, aber doch sehr merkwürdig, weil sich das Wasser in unzählige Fäden zerteilt, die durch hingewälzte Felsenstücke sich so mannigfaltig und seltsam kreuzen, daß keine Phantasie die Kaskade eigensinniger anlegen könnte. Auf den abgerissenen Steinen stehn hie und da kleine Fichten, die das Launichte dieses Naturauftrittes unendlich vermehren. Das Wasser dieses Baches ist so kalt, daß du deine Hand keine zehn Sekunden darin halten kannst, und doch kannst du ohne die geringste Gefahr im größten Schweiß so viel davon trinken, als du willst. Du verdauest und verdünstest es so leicht wie Luft. In der größten Ermüdung wüßte ich kein besseres Erquickungsmittel als dies Wasser. - Ihr armen Leute zu Paris mit euern Diarrhöen und Verstopfungen, die euch das leimichte Seinewasser wechselweise verursacht! Könnte euch doch eure allmächtige Polizei dieses Wasser verschaffen, das sich hier ungenutzt in den Salzachfluß verliert!


Der Teil des Fürstentums Salzburg, welcher der Hauptstadt gegen Norden liegt, enthält zwar auch viele Berge, trägt aber doch zum Unterhalt seiner Bewohner Getreide genug. Allein sechs Stunden von der Stadt gegen Süden fängt ein langes und enges Tal an, welches sich erst auf einige Meilen gegen Süden fort und hierauf gegen Westen herum zieht, von ungeheuerm Gebirge eingeschlossen ist, von der Salzach durchströmt wird, den größten Teil des Fürstentums ausmacht und kaum den dritten Teil des nötigen Getreides trägt. Der Eingang in dieses Tal ist der sogenannte Paß Lueg oder Luk, welches im Plattdeutschen und Englischen soviel als Sehen heißt und die nämliche Bedeutung als eine sogenannte Warte in verschiedenen Gebieten von Reichsstädten hat. Dieser Paß ist ein tiefer, enger Schlund zwischen nackten Granitfelsen, die über die Wolken emporragen, senkrecht abgehauen sind und durch welche sich die Salzach wütend drängt. Über dem Fluß hat man einen Weg in den Fels gehauen, der durch ein Tor geht, welches kaum Raum genug für einen Wagen hat und von einer Batterie bedeckt wird, so daß hier wenige Leute eine große Armee aufhalten können. Die andern Zugänge dieses Tales sind ebenso wohlverwahrt, und die Natur hat es so gut befestigt als das Walliserland 6 .


Außer diesem großen Tal gehören noch einige anstoßende kleinere zu diesem Fürstentum. Sie sind von der nämlichen Beschaffenheit wie jenes, und die Nahrung der Einwohner besteht hauptsächlich in der Viehzucht. Man findt an vielen Orten sehr reiche Bauern, die sechzig bis achtzig Stücke großes Vieh besitzen. Es wird etwas Käs und Butter ausgeführt, aber lange nicht so viel, als es sein könnte, wenn die Einwohner so fleißig, sparsam und zur Handlung so aufgelegt wären als die Schweizer Bauern. Nebst dem Hornvieh ist auch die Pferdezucht sehr beträchtlich. Diese sind vom stärksten Schlag und werden als schwere Last- und Zugpferde weit ausgeführt. Von Gestalt sind sie nicht schön. Sie haben zu dicke Köpfe, und ihr Hintergestelle ist zu hoch; aber ich erinnere mich, in einigen Städten am Rhein Salzburger Pferde gesehen zu haben, deren eines auf einem schweren Karren mit zwei Rädern gegen vierzig Zentner vom Schiffe weg durch die Stadt ziehen mußte. Die Bauern brauchen sie schon im dritten Jahr zu ihrer schweren Arbeit, und dies ist Ursache, daß sie gar bald steif werden und nicht wohl zu Kutschenpferden zu brauchen sind. Der Kaiser kauft für seine Artillerie eines um 120 Gulden. - Die Besitzungen des Fürsten in Kärnten sind in Rücksicht auf ihren natürlichen Zustand dem übrigen Lande ziemlich gleich, und das, was er in Österreich besitzt, ist zu unbeträchtlich, als daß es hier in Anschlag kommen sollte. Im ganzen muß dieses Land beinahe die Hälfte seines nötigen Getreides aus Bayern beziehen.


Der hiesige Bauer kann sich nicht, wie der Bergschweizer, mit Käs oder Erdäpfeln behelfen. Durchaus muß er zu seinem Fleisch, welches er bei der Mahlzeit, so fett es auch sein mag, immer noch bissenweis in zerlassenes Schmalz zu tunken pflegt, gutes Brot und Bier und Branntewein in Überfluß haben. Diese für seine natürliche Lage zu kostbare Lebensart müßte das Land zu dem ärmsten in Europa machen, wenn er diesen Aufwand nicht durch eine kluge und bewundernswürdige Sparsamkeit in den andern Teilen seiner Wirtschaft ersetzte. Er kleidet sich selbst von Kopf bis zu Fuß. Jede Familie webt aus ihrer eignen und von ihr selbst zubereiteten Wolle eine Art von grobem dunkelgrauem Tuch, woraus sie sich selbst die Hauptstücke der nötigen Kleidung verfertigt. Leinenzeug, Schuhe und Strümpfe, alles macht sich der Bauer selbst. Seine Kleidung ist dabei reinlich, einfach, bequem und schön. - Das Gleichgewicht zwischen der Einnahme und Ausgabe des Landes wird aber hauptsächlich durch die Ausbeute der Bergwerke hergestellt.


Unter diesen ist das Salzwerk zu Hallein ohne Vergleich das beträchtlichste. Das Innere dieses ohngefähr vier Stunden von hier entlegenen Berges besteht aus einer Masse von Salzkristall, welches aber mit häufiger Erde vermischt ist. Um es zu reinigen, werden ungeheure Kammern hineingehauen und mit Wasser angefüllt, welches das Salz ableckt und die Erdteile zu Boden sinken läßt. Das geschwängerte Wasser wird sodann auf die Pfannen geleitet und ausgesotten. Mit der Länge der Zeit füllen sich die Kammern von selbst wieder mit Satz an, und der Schatz ist unerschöpflich. - Eine solche Kammer, wenn sie beleuchtet wird, ist der schönste Anblick von der Welt. Denke dir einen Saal von ohngefähr hundert Schritt ins Gevierte, dessen Wände und Böden aus Kristallstücken von allen erdenklichen Farben bestehen, die im Glanz der durchscheinenden Lichter so wunderbar durchspielen, daß du wirklich glauben mußt, du seiest in einen Feenpalast versetzt. Zu diesem großen Werk wird das Holz auf der Salzach und den sich in dieselbe ergießenden Flüssen und Bächen, so weit jener Hauptfluß das große Tal beherrscht, herbeigeschwemmt. Seit einiger Zeit werden die Holzungen merklich dünner, und mit der Zeit könnte die gar zu große Verminderung derselben das Werk stockend machen.


Die unglückliche Lage des Landes ist schuld, daß es diesen Schatz nicht für sich ganz nutzen kann, sondern ihn größtenteils Fremden überlassen muß. Ringsum ist es von den österreichischen und bayrischen Landen eingeschlossen. Die erstern haben für sich Salz genug, und alle Einfuhr des fremden Salzes ist streng verboten. Auf der andern Seite ist das bayrische Salzwerk zu Reichenhall so ergiebig, daß es nicht nur diese Lande damit hinlänglich versorgen, sondern auch noch eine beträchtliche Menge an die Fremden abgeben kann. Die Erzbischöfe von Salzburg sahen sich also genötiget, mit den Herzogen von Bayern einen Vertrag zu errichten, vermöge dessen diese jährlich eine gewisse Menge Salzes um einen unmäßig geringen Preis von den erstern übernehmen und einen Teil der Schweiz und des Schwabenlandes damit versehen. So ist Bayern eigentlich im Besitz des Handels mit dem hier erbeuteten Salze und gewinnt wohl dreimal soviel dabei als die Fürsten von Salzburg. Der Wert des Salzes, welches Bayern jährlich übernehmen muß, beläuft sich auf ohngefähr 200.000 Gulden, und was im hiesigen Lande selbst und durch einen unbeträchtlichen Schleichhandel in die benachbarten österreichischen Lande abgesetzt wird, beträgt so viel, daß der ganze Wert der Ausbeute auf ohngefähr 350.000 Gulden geschätzt werden kann, wovon beinahe 200.000 Gulden reiner Gewinn sein mögen.


Die Gold- und Silberbergwerke des Fürstentums machen in den Geographien Deutschlands einen großen Lärmen, sind aber neben dem Salzwerk kaum nennenswert. Ich habe den Auszug aus den Registern des Ertrags aller Gold-, Silber-, Eisen-, Kupfer- und anderen Gruben gesehen, und im Durchschnitt der letztern zehn Jahre war der jährliche reine Gewinn des Fürsten von allen seinen Bergwerken 65.000 Gulden. Er baut sie fast alle selbst und verliert schon seit vielen Jahren an dem Bau eines Goldwerks in der Gegend von Gastein jährlich über 20.000 Gulden, in der betrüglichen Hoffnung, mit der Zeit reichere Ausbeute zu bekommen und um das Tal, worin es ist und dessen Einwohner bloß von diesem Werke leben, nicht zu einer Wüste werden zu lassen. Das hiesige Eisen wird immer spröder und von den Fremden weniger gesucht. Der Fürst hat auch, für seine Rechnung, eine Messingfabrike; aber der dazu erforderliche Galmei 7 wird im Lande immer seltener.


Herr Büsching sagt in seiner Beschreibung Deutschlandes, er habe von guter Hand, die jährlichen Einkünfte des Erzbischofs beliefen sich auf vier Millionen Gulden. Wenn mich der Fürst zu seinem Generalpachter machen wollte, ich getraute mir kaum, 1.200.000 Gulden für seine ganze Einnahme zu bieten. Ich weiß ziemlich zuverlässig, daß die Steuern, Domänen, Landzölle und dergleichen nicht viel über 600.000 Gulden abwerfen; rechne ich nun den Gewinn an den Bergwerken dazu, so müßten die Akzise, Zölle und der übrige Ertrag der Hauptstadt samt einigen fürstlichen Bierbrauereien noch 435.000 einbringen, ehe ich bei meiner Pachtung gewinnen könnte.


Die Größe des Landes wird auf 240 deutsche Quadratmeilen geschätzt. Es hat nur sieben oder acht Städte, wovon einige mit einem großen schwäbischen Dorf nicht zu vergleichen sind. Die Zahl der sämtlichen Einwohner wird auf 250.000 angegeben, wovon ohngefähr 14.000 auf die Hauptstadt kommen. Die geringern Fabriken von baumwollenen Strümpfen und Nachtmützen zu Hallein ausgenommen, ist das Land ganz von Manufakturen entblößt. Seitdem die Straße nach Triest so vortrefflich ist angelegt worden, treibt die Stadt Salzburg einen beträchtlichen Handel mit Spezereien und Materialien, womit sie einen großen Teil von Bayern versieht. Die Wege durch dieses bergichte Land sind überhaupt sehr gut, ob sie schon hie und da über schauerlichen Abgründen auf Holzgerüsten schweben oder gar in Ketten an den hohen Felsen hängen. Die schwersten Fuhren haben nichts zu befürchten, als etwa von einem gewaltigen Stoßwinde umgeworfen oder im Frühjahr von einer Schneelawine bedeckt zu werden. Auf meiner Reise in das Bad zu Gastein, einer der wildesten Gegenden des Landes, sah ich alles, was zu tun möglich ist, um die schrecklichsten Abgründe und die steilsten Felsen wegsam zu machen. Auf dieser Reise sah ich auch einen der merkwürdigsten Wasserfälle, die ich je gesehen. Ein starker Bach stürzt wie aus den Wolken auf einen unterliegenden Felsen, der über hundert Schuh über dem Weg emporragt, und wird von da in einem Bogen so stark zurückgeprellt, daß man auf der Straße, die unter diesem Bogen durchgeht, gar nicht benetzt wird. Von vorne kann man diesen schönen Fall nicht sehen, weil das Tobel 8 zu enge und der entgegenstehende Fels zu steil ist; aber in einiger Entfernung bietet er, von der Seite betrachtet, den seltsamsten Anblick dar. Lebe wohl.


Ich lobe mir die Bergländer. Ich bin zwar keiner von denen, deren Gefühl bloß durch das Abenteuerliche reizbar ist, die starke Erschütterungen lieben, weil sie gegen sanftere Regungen gemeiniglich stumpf sind, und die ihr Vergnügen auf unwirkbaren Felsenrücken und scheußlichen Eis- und Schneefeldern suchen, weil sie durch unmäßigen Genuß an den Freuden, welche mildere Gegenden darbieten, einen Ekel bekommen haben. Mir ist die einförmigste Ebene mannigfaltig genug, um mein Herz in dem Grad von Wärme und meine Sinnen in der Spannung zu erhalten, die zu einem ununterbrochenen Genuß der Natur nötig sind. Ich umarme den Baum, der mir auf meiner Wanderung durch ein kahles und ebenes Gefilde auf einen Augenblick Schatten gibt; das Moos auf einer Heide hat Reiz für mich, und der Bach, der durch einen unabsehbaren Wiesengrund schleicht, ist mir auch ohne das Geräusche eines Wasserfalles lieb. Aber ich bin auch billig genug, um dem Gebirge Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und ihm in Rücksicht auf Schönheit den Vorzug vor der Ebene einzuräumen. Der Puls der Natur schlägt hier stärker, alles verrät mehr Leben und Treibkraft, alles verkündigt die immer wirksame Allmacht lauter und stärker. Der Bach, welcher, ohne zu wissen, welchen Weg er nehmen soll, langsam die Ebene durchirrt, eilt im Gebirge brausend und ungestüm seinem Zweck zu. Der Zug der Wolken, die Empörungen der Luft, das Hallen des Donners: alles ist hier lebhafter und stärker. Die Täler sind in der schönen Jahreszeit von einem viel geistigern Geruch der Blumen und Kräuter durchdüftet als die Ebenen, deren Boden zur Zubereitung der feinern Pflanzensäfte nicht so bequem ist und worauf sich die Ausduftung derselben in der weiten Luft verliert. Die Natur ist hier mannigfaltiger und unendlich malerischer. Sie schattiert sich auf eine Art, wovon sich der Bewohner einer Ebene keinen Begriff machen kann, und in der Schattierung werden alle, auch die kleinsten Züge derselben auffallender und reizender. Hier bietet die Natur die Eigenschaften aller Jahrszeiten und der verschiedensten Erdkreise auf einmal dar. Während daß man im Sommer in der Tiefe des Tales die Hitze von Afrika empfindet, genießt man auf der mittlern Höhe der Berge die gemäßigte Luft des Frühlings, und auf den Gipfeln derselben starrt man im Frost Sibiriens. Und wie mannigfaltig sind nicht die Gestalten, Verkettungen und Aufhäufungen all der Berge und Hügel!


Der Mensch ist wie sein Erdreich, wenn die Erziehung und die gesellschaftlichen Verbindungen keine Veränderung mit ihm vornehmen. Der Bauer im Innern dieses Landes trägt ganz das Gepräge der Natur um ihn her. Sein Gang ist schnell wie der seines Waldstroms; er ist in seinen Leidenschaften stürmisch wie die Luft, die er atmet, stark wie die Eiche, die ihn beschattet, und bieder, treu und fest wie der Fels, der seine Hütte trägt. Die Lebhaftigkeit und Mannigfaltigkeit der Auftritte, welche ihm die Natur darstellt, machen seinen Kopf reicher an Begriffen und sein Herz wärmer, als es sein würde, wenn er auf einer einförmigen Ebene wohnte und, wie hier, bloß der Natur überlassen wäre. Die Entfernung von großen Ortern und die zerstreute Lage der Hütten, wodurch ihm viele Gelegenheit zu schädlichen Ausschweifungen genommen wird, erhalten seine Sitten reiner und machen ihn zum Nachdenken aufgelegter und auf seine Wirtschaft aufmerksamer. In seinem Bau, seiner Gesichtsbildung, seinen Gebärden und seinem Gespräche zeichnet er sich vor dem bayrischen Bauer sehr zu seinem Vorteil aus. Ich bedaure unendlich, daß ich wegen Mangel an Kenntnis der hiesigen Provinzialsprache die Bergleute nicht so genießen kann, wie ich es wünsche. Die unbeschreibliche Offenherzigkeit, welche sie äußern, und die Züge des Wohlwollens, des guten Humors und des launichten Witzes, die man auf ihrem Gesichte liest, machen sie beim ersten Anblick dem Menschenfreund vorzüglich lieb. Viele von ihnen tragen noch lange Bärte, und die in den abgelegenen Gegenden duzen jedermann, auch ihren Fürsten. Die Kröpfe sind zwar nicht selten unter ihnen, aber doch lange nicht so häufig, als einige Reisebeschreiber zu melden belieben. Überhaupt genommen, sind sie ein sehr schöner Schlag Leute.


Die Lücken, welche durch die bekannte Auswanderung der Protestanten vor fünfzig Jahren 9 in der Bevölkerung und dem Anbau dieses Landes gemacht worden, sind noch lange nicht wieder ausgefüllt. Sie war das Meisterstück einer schlimmen Regierung, wo die Schwäche eines Fürsten und die eigennützige Bosheit eines Ministers im größten Glanz erschien. Ich habe die Akten dieses merkwürdigen Vorfalles zu meiner großen Erbauung ganz durchgelesen. Man irrt sich, wenn man die Veranlassung dieses seltenen Auftrittes überhaupt den Religionsgrundsätzen zuschreibt, die sich zur Zeit der Reformation in dieses Gebirge eingeschlichen haben. Aus den Akten ergibt sich, daß gar wenige einen deutlichen Begriff von dem augsburgischen oder helvetischen Glaubensbekenntnis 10 hatten. Diese Grundsätze mögen wohl etwas beigetragen haben, aber die meisten dieser neuen Protestanten sind es durch eigenes Nachdenken und durch Unterredungen unter ihnen geworden, wozu sie selbst den Stoff aus den katholischen Predigten und Religionsbüchern nahmen. Hätte man ihnen eine unbedingte Religionsfreiheit im Lande gestattet, so hätten sie gewiß eine ganz neue Sekte gebildet, die mit der kalvinischen und lutherischen wenig Ähnlichkeit würde gehabt haben. Die meisten derselben, die gerichtlich verhört worden, antworteten auf die beiden Fragen, ob sie sich zur lutherischen oder kalvinischen Kirche bekennen wollten, geradezu: "Nein, zu keiner von beiden. Wir glauben nur nicht, was unsere Mitbürger glauben, sondern halten uns bloß an die Schrift." Es war eine durch verschiedene Umstände veranlaßte Empörung des Menschenverstandes, woran die Reformatoren des sechzehnten Jahrhunderts wenig teilhatten. Bauern und Handwerker machten Prediger in ihren Häusern oder unter einem Baum an einem entlegenen Ort. Kurz, man muß diesen Leuten die Ehre lassen, daß sie fast ganz allein ihre eigne Lehrer waren. Erst als sie sich wegen der Bedrückungen ihres Landesherrn um fremden Schutz umsehen mußten und mit dem König von Preußen in Unterhandlungen standen, erklärten sie sich zu einer im deutschen Reiche durch den Westfälischen Frieden privilegierten Sekte, weil sie sich auf keine andere Art gegen ihre gänzliche Unterdrückung sicherstellen konnten.


Der damalige Erzbischof war ein guter Mann, der seine Untertanen wirklich liebte und alles mögliche tat, um sie nach seiner Meinung auf den rechten Weg zur Seligkeit zurückzuführen. Er schickte Kapuziner als Missionärs ins Gebirge, deren Kapuzen und Bärte aber gegen die Explosionen des erwachten Menschenverstandes nicht aushalten konnten. Er betete selbst unablässig für die Bekehrung seiner verirrten Schafe und sparte weder Geld noch gute Worte, um sie dem Himmel wiederzugewinnen. Der Verlust so vieler Seelen war ihm unendlich schmerzlicher als der Abgang so vieler Arme zum Bau seines Landes und die dadurch verursachte Schmälerung seiner Einkünfte. Sein Kanzler aber betrachtete die Sache in einem ganz andern Lichte. Dieser hatte berechnet, was er für seine Person bei der Auswanderung so vieler tausend Einwohner und bei dem Verkauf so vieler Güter gewinnen könnte. Er benutzte die Schwäche seines Herrn, um sich bei dieser schönen Gelegenheit den Beutel zu spicken. Er stellte ihm vor, wie gefährlich es für das Seelenheil seiner noch rechtgläubigen Untertanen sei, die Ketzer unter ihnen wohnen zu lassen. Wenn die altgläubigen Nachbarn eines Anhängers der neuen Lehre ihn durch Schimpfen und Drohen auf das äußerste gereizt hatten und er endlich in der Wut sagte: "Wartet nur, bis die 60.000 Mann des Königs von Preußen anrücken, da schlagen wir euch allen die Köpfe ein. Das ist ein anderer Monarch als der Erzbischof, und er ist schon auf dem Marsch zu uns ..." und dergleichen mehr, so wußte der patriotische Kanzler Hochverrat und Landesverräterei in diesen Reden zu finden, die nichts als der Ausbruch einer augenblicklichen, unbedachten und gereizten Laune waren. Mit einem Wort, er war die eigentliche Triebfeder des Abzuges von ohngefähr 25.000 Menschen, wobei er gegen 50.000 Gulden gewonnen und sein Herr gegen 100.000 Gulden an jährlichen Einkünften verloren hat. Der König von Preußen schickte zwei Kommissärs hieher, die das Eigentum derjenigen, die sich in seine Lande begaben, besorgen mußten und den größten Teil des Geldes, welches aus dem Verkauf der Häuser, Güter und des Gerätes der Abgezogenen gelöst worden, aus dem Lande trugen.


Durch das ganze Gebirge gibt es noch viele Anhänger dieser neuen Lehre. Ich lernte einen von ihnen kennen, der in jedem Betracht zu merkwürdig ist, als daß ich dich nicht mit ihm bekannt machen sollte. - Vor einigen Tagen besuchte ich, mit einem Herrn von hier, den Landvogt oder, wie er hier heißt, den Pfleger von Werfen, einen sehr artigen und hell denkenden Mann, wie es dann auch in den entlegensten Teilen dieses Gebirges viele weit über meine Erwartung aufgeklärte Leute gibt. Diese Wanderung hatte viel Vergnügen für mich. Vom Paß Lueg an, wo das große Tal beginnt, geht der Weg vier Stunden lang, bis nach Werfen, durch einen engen Schlund zwischen nackten Felsen, die oft auf große Strecken hin wie himmelhohe Mauern zu beiden Seiten dastehn. Die am Fuß dieser Bergketten hie und da zerstreuten Partien Holz, der mannigfaltige Lauf der Salzach, die sonderbaren Einschnitte, Gestalten und Farben der Felsen, ihr Schutt, die Spuren des ehemaligen Laufes des Flusses, viele Klaftern hoch über seinem jetzigen Bette, die seltsame Lage der wenigen Gebäude und die auffallende Schattierung des Ganzen geben dieser sonst öden Landschaft Reiz genug, um den Wanderer zu unterhalten. Das Schloß Werfen steht bei dem Flecken dieses Namens, wo sich das Tal merklich zu erweitern beginnt , auf einem abgerissenen kegelförmichten Felsen, der sich mitten aus dem engen Schlund erhebt. Auf einer Seite hat kaum am Fuße desselben die Straße und auf der andern kaum die Salzach Raum genug. Auf dem Schloß beherrscht man eine herrliche Aussicht: vorwärts in das sich erweiternde Tal zwischen behölzten und zum Teil schön angebauten Bergen und Hügeln und rückwärts in den tiefen Schlund, wodurch man gekommen, dessen Felsenspitzen immer in der Sonne glänzen, während daß sich in die Tiefe desselben ein ewiges Dunkel gelagert hat. Auf dem Schloß werden viele Gefangene bewacht, die zum Teil in Ketten arbeiten müssen. Unter denselben fiel mir die Gestalt und das Gesicht eines Mannes auf, von dem man mir schon viel gesagt hatte. Er ist das Bild eines schönen Mannes. Ein Alter von etlichen und sechzig Jahren hat das blühendste Rot von seinen Wangen noch nicht weggewischt. Sein starker langer Bart und sein schwarzes schönes Haar sind nur hie und da mit etwas Grau untermischt. Er trägt sich so leicht und steht so gerade wie ein Jüngling in seiner vollen Kraft. Seine Stirne und die ganze Bildung seines Gesichtes ist regelmäßig schön, und sein großes blaues und sprechendes Auge muß auch den geringsten Menschenkenner auf ihn aufmerksam machen. Aus seinem Antlitz leuchtet eine unbeschreibliche Seelenruhe und ein gewisser Stolz, der von einem starken Charakter unzertrennlich ist. Ich wollte seine Geschichte von ihm selbst hören und erzähle sie dir aus seinem Munde wieder, so gut ich kann.


"Ich bin nun", sagte er, "ohngefähr vierundzwanzig Jahre hier als ein Gefangener. Ich erinnere mich noch der Auswanderung so vieler Tausend meiner Mitbürger und habe, so jung ich auch noch war, viel Teil daran genommen. Wie ich heranwuchs, machte die Erinnerung dieses Auftrittes immer mehr Eindruck auf mich. Die Freude, womit so viele meiner Nachbarn ihr Vaterland verließen, um dem Gewissenszwang zu entgehen und in ihrem Glauben frei und ungekränkt zu sein, hatte etwas Großes und Reizendes in meinen Augen. Dies verschaffte den Vorstellungen einiger meiner Freunde und Bekannten, die im Punkt der Religion mit den Kapuzinern nicht einig waren, leichten Eingang in mein Gemüt. Ich las die Schrift, verglich ihre Lehren mit den päpstlichen und machte mir meine eigne Religion, deren Grundsätze ich eben nicht sehr geheimhielt, weil ich recht zu haben glaubte. Damals hatten die Kapuziner, die im ganzen Lande als Missionärs herumzogen, überall ihre Spionen, und es konnte nicht fehlen, daß ihnen nicht einige Äußerungen, die mir in der Hitze verschiedener Religionsdisputen entfuhren, sollten zu Ohren gekommen sein. Von dem Augenblick an verfolgten sie mich, wo ich nur immer war. Sie kamen sogar in mein Haus und forderten ein Glaubensbekenntnis von mir. Ich wollte überzeugt sein und legte ihnen meine Gründe vor; sie waren aber bald am Ende, und ihre Gespräche liefen immer dahin aus, es käme mir nicht zu, über Glaubenssachen Untersuchungen anzustellen; der Glaube müsse blind sein, und ich müßte ein Glaubensbekenntnis ablegen. Ich sagte ihnen, es wäre mir platterdings unmöglich, etwas gegen meine Überzeugung zu glauben, aber alles half nichts.


Als ich sah, daß sie mich nicht überzeugen konnten und ihnen an meiner innern Überzeugung auch nichts gelegen war, sagte ich ihnen, sie sollten mich nur in Ruhe lassen; ich stünde ihnen mit Ehre und Leben dafür, daß ich meine Gedanken über die Religion für mich geheimhalten und niemand zu meinem Glauben bekehren würde. Umsonst; täglich brachen sie ungestüm in mein Haus ein und drangen auf das Bekenntnis eines Glaubens, dem mein Gewissen widersprach. Lieber Herr, ich tat alles, was möglich war, um Ruhe zu haben, aber es war unmöglich. Eines Tages kam ich müde vom Feld nach Haus, und als ich mich bei meinem Brot erquicken wollte, stürmeten wieder die Kapuziner herein. Ich hatte mir seit einiger Zeit vorgenommen, ihnen kein Wort mehr als guten Tag oder guten Abend zu sagen. Als sie ihr altes Geschrei wieder begannen, hörte ich lange ruhig und stille zu und ließ mir mein Brot desto besser schmecken, je mehr sie mich verfluchten. Wie es aber kein Ende nehmen wollte, kroch ich in den Winkel hinter den Ofen und dachte: Schreit, so lange ihr wollt. Aber auch da war ich nicht sicher. Ich warf mich endlich ungeduldig aufs Bette, und wie der eine auch hier zu mir schritt und mir in die Ohren schrie, kehrte ich ihm den Hintern zu; aber flugs war der andere wieder auf der andern Seite und schrie noch ärger als sein Geselle. Endlich ward ich toll, sagte ihnen, ich wäre Herr in meinem Haus; und wie sie es immer gröber machten, sprang ich auf, nahm das erste beste, was mir in die Hände kam (ich glaube, es war ein Besen), und jagte sie zur Türe hinaus. Nun ward ich nicht nur als ein verstockter Ketzer, sondern auch als ein Verfluchter behandelt, der an die geheiligten Priester des Herrn gewalttätige Hände gelegt. Man nahm mich gefangen und brachte mich in Ketten hieher. Anfangs litt ich entsetzlich. Hundertmal sagte ich, man sollte mich nur überzeugen, und ich wollte es dann mit Mund und Blut bekennen; aber alles war vergeblich. Man wollte mich zwingen, in die Kirche zu gehen, zu beichten, meine Gedanken über die Religion zu eröffnen usw. Ich sagte, ich könnte von meiner Religion weiter nichts offenbaren, als daß ich nicht glaubte, was sie glauben. Überzeugen wollte oder könnte man mich nicht, und also würde ich geduldig zur Kirche gehen, wenn man mich's hieße, aber ohne deswegen meinen Glauben zu ändern, und zu beichten hätte ich nichts. Das unausstehlichste war mir das unablässige Dringen der Kapuziner auf ein Glaubensbekenntnis. Alles Bitten, mich zu verschonen, und alle Vorstellung, daß das Bekenntnis des Mundes ohne Bekenntnis des Herzens nach ihrer eignen Lehre nichts hälfe, war umsonst. Endlich nahm ich mir vor, mich als einen Stummen zu gebärden und kein Wort mehr zu reden, welches ich auch achtzehn ganze Jahre hindurch dem Buchstaben nach hielt. Vor einigen Jahren fing man an, mich gelinder zu behandeln, und seit dieser Zeit habe ich meine Sprache wieder."


Der Herr Pfleger bestätigte es, daß dieser sonderbare Mann achtzehn ganze Jahre hindurch keine Silbe gesprochen. Und doch sah man während dieser langen Zeit kein Wölkchen des Unmuts oder der bösen Laune auf seinem Gesicht. Sich immer gleich, tat er gelassen und munter alles, was man ihm, außer der Sphäre der Religion, gebot. Nur einen leichten Zug von Verachtung der Menschen um ihn her will man an ihm bemerkt haben. Wenn man bedenkt, daß sein ziemlich heller Kopf, sein offenes Wesen und sein guter Humor ihm ein natürlicher und sehr starker Trieb zur Geselligkeit und zur Mitteilung seiner selbst sein müssen, so muß man über seine freiwillige Stummheit staunen. Durch sein Wohlverhalten in seiner Gefangenschaft brachte er es dahin, daß ihm der jetzige Fürst, ein sehr toleranter Herr, die Ketten abnehmen ließ und auf Ansuchen des Herrn Pflegers eine ansehnliche Zulage zu seinem täglichen Unterhalt bewilligte. Er hat sich so viel Zutrauen erworben, daß man ihn zu einer Art von Aufseher über seine Mitgefangenen gemacht hat. Ungeschlossen und ganz frei ward er mit denselben schon mehrmalen zur Arbeit an Orte hingeschickt, wo es ihm sehr leicht war zu entwischen; aber sein Charakter ist mehr Bürge für seine Person als die stärkste Kette. Er hat sich - ohne es selbst zu wissen - bei seinen Mitgefangenen so viel Ansehen verschafft, daß er sie mit einem Wort besser in der Zucht halten kann als der Kerkermeister mit dem Stocke. Die Natur hat ihm eine Überlegenheit über den großen Haufen der Menschen zugesichert, ob sie ihn schon in einer Bauernhütte gebar. Jetzt beschäftigt er sich in seinen Nebenstunden freiwillig damit, daß er einen jungen Mordbrenner von ungefähr sechzehn Jahren, der einigemal aus Mutwillen seines Vaters Haus angezündet und seit einigen Jahren an Ketten liegt, lesen und schreiben lehrt, ohne ihm etwas von seinen Religionsbegriffen mitzuteilen. Diese hält er jetzt so geheim, daß ich mit aller vertraulichen Zudringlichkeit, mit allem Bitten und Versprechen nichts aus ihm herausbringen konnte. Er antwortete mir nichts als "Ich glaube nicht, was die Kapuziner glauben, und wünsche mir zu einem vergnügten Leben nichts mehr als eine Bibel." Vor einigen Jahren ließ man einigemal seine Frau zu ihm, die er aber, ohne die geringste Äußerung einer Neigung, ihrer genießen zu wollen, mit einigen guten und warmen Ermahnungen zu ihrem Besten wieder entließ. Eine Bibel, wornach seine Seele so heftig dürstet, wird man ihm schwerlich gestatten, weil man seiner Schwärmerei nicht noch mehr Nahrung geben will. Alle Salzburger Herren und Damen, in deren Gesellschaft ich diesen Mann zu sehen die Ehre hatte, äußerten eine gewisse Hochachtung gegen ihn, aber sie waren auch alle einig, daß es eben nicht sehr politisch 11 gehandelt sei, wegen so einer Kleinigkeit, als man von dem Mann gefordert, ein Märtyrer zu werden.


Das hiesige Landvolk ist außerordentlich lebhaft und fröhlich. Die Mädchen in diesen verborgenen Winkeln unsers festen Landes, alle frisch wie die Rosen und munter wie die Rehe, verstehn sich auf die Künste der Koketterie so gut als unsere Pariserinnen, nur sind die Reize, womit sie auf Eroberungen ausgehen, natürlicher als bei diesen. Ihr gewölbter Busen, dessen Umrisse sie sehr sorgfältig oben und auf den Seiten des Brustlatzes zu entfalten suchen, ist kein Betrug eines lügnerischen Halstuches oder einer hohlen Schnürbrust. Sie wissen das Schöne ihrer Kleidung ganz zu ihrem Vorteil zu benutzen. Wenn sie einen Liebhaber glücklich machen wollen, so macht ihnen weder die Schande einer unehlichen Geburt noch die Besorgnis, ein Kind ernähren zu müssen, einige Bedenklichkeit. Die Sitten setzen sie über das erste und die Leichtigkeit des Unterhaltes eines Kindes über das andere hinaus. Die Strafe, die sie für einen Fehltritt von der Art erlegen müssen, ist kaum nennenswert. Die Kindermorde sind daher hierzulande äußerst selten. Ohne allen Zwang, ohne alle Zurückhaltung überläßt man sich hier dem Triebe der Natur. Die Mädchen nehmen sonntags in der offenen Kirche den lauten Gruß und Handschlag von ihrem Geliebten an. Beim nächtlichen Besuch hat aber der Liebhaber einen harten Stand. Die Witterung mag noch so unfreundlich sein, so wird ihm die Türe oder das Fenster doch nicht eher geöffnet, bis eine gewisse Losung gegeben ist, die gemeiniglich in langen Reimen besteht, worin er sein Leiden und Sehnen in einer mysteriösen Sprache zu erkennen geben muß und die das Mädchen reim- oder strophenweis beantwortet. Diese Sitte ist uralt und in den entlegnern Teilen dieses Gebirges unverbrüchlich. Die Bekanntschaft und der Genuß beider Liebenden mag noch so lange gewährt haben, so dörfen sie sich doch nicht darüber hinaussetzen. Sehr selten läßt ein Bauernjunge sein Mädchen sitzen, wenn er es auch erst nach zwei bis drei Kindbetten heiraten kann.


Die Bewohner dieser Berge sind mit ihrem Zustand so vergnügt, daß sie ihr Land für eine Art von Paradies halten. Die Einwohner des sogenannten Dintnertales, einer scheußlichen Kluft zwischen nackten Felsen, die vom Dintenbach durchströmt wird, haben das Sprüchwort: Wenn einer aus dem Himmel fiele, so müsse er ins Dintnertal fallen, welches soviel sagt als, dieses Tal sei der zweite Himmel. Ich konnte lange nicht ausfindig machen, warum die guten Leute einen so hohen Begriff von einem Schlund haben, der oft viele Wochen lang so verschneiet ist, daß kein Mensch weder heraus- noch hineinkommen kann, und der mit einigen benachbarten, viel reizendern Gegenden so stark absticht. Ich nahm es anfangs für Ironie; aber ich erfuhr endlich, daß es voller Ernst sei und daß die uneingeschränkte Freiheit, welche die Bewohner dieses seltsamen Paradieses zu genießen haben, ihnen die große Hochachtung für dasselbe eingeflößt hat. Sie bestehen bloß aus einigen Hirten, Bergwerkleuten und Eisenschmelzern, die fast ganz von Abgaben frei sind und auf welche die Obrigkeit in Betracht des geringen Ertrags und der Entlegenheit dieser Gegend wenig acht hat. - Die Abgaben der hiesigen Landleute sind überhaupt sehr mäßig, und die Befreiung von den Erpressungen, worunter die übrigen Völkerschaften Deutschlands seufzen, mag das meiste zu dem guten Humor beitragen, welcher in diesem ganzen Gebirge herrscht. Die Fürsten ließen es bisher bei dem Anschlag der Güter bewenden, der seine Jahrhunderte alt ist und also mit dem jetzigen Wert der Dinge in einem geringen Verhältnis steht. Der jetzige Fürst hat durch seinen Entwurf, neue Urbarien machen zu lassen und die Schatzungen zu erhöhen, ein kleines Murren im Lande erregt. Wirklich ist er nach dem Verhältnis der Größe und des Reichtums seines Landes im Punkt der Einkünfte weit hinter den übrigen Fürsten Deutschlands zurück, und in Betracht dessen wäre ihm dieser Entwurf wohl zu verzeihen. Aber die schlimmen Folgen seiner großen Liebe zur Jagd, wovon er vermutlich nichts weiß und die ohne Zweifel bloß das Werk seiner Bedienten sind, haben einen stärkern Zug von Despoterei als die Erhöhung der Schatzungen, die dann doch unter der Garantie der Landstände auf eine lange Zeit festgesetzt bleiben und nicht, wie jene Wirkungen einer persönlichen Leidenschaft, willkürlichen, augenblicklichen und gewalttätigen Erweiterungen ausgesetzt sind. In verschiedenen Gegenden ist den Bauern verboten worden, ihre Schafe auf gewisse Weiden zu treiben, die an große Holzungen anstoßen, damit dem gehegten Wild das Futter nicht entzogen werde. Ich habe dir gesagt, daß sich der hiesige Bauer meistens von seiner eignen Schur sein Tuch und Wollenzeug selbst macht. Verbote von dieser Art müssen also auf viele Wirtschaften einen sehr schädlichen Einfluß haben. Der hiesige Bauer ist gegen alle Neuerungen sehr empfindlich. Es gab schon Auftritte, wo diese Bergbewohner laut sagten, sie wollten sich auf den Fuß der Schweizer setzen. Läßt es aber ein Fürst beim alten bewenden, so sind sie ihm unbeschreiblich zugetan. - Oh! wüßten doch die Fürsten die Liebe ihrer Untertanen, ihrer Nebenmenschen, zu schätzen.


Viele der hiesigen Bauern tragen noch lange Bärte und den Hals und die Brust zu jeder Jahreszeit offen. Diese ist dann von der Sonne und der Luft gebräunt und meistens stark behaart. In einiger Entfernung sehn sie schrecklich aus, aber in der Nähe macht sie ihr freundlicher Blick und das unverhehlbare Gepräge der Redlichkeit willkommen. Sie sind mutig und stark und würden bei einem Angriff in Verteidigung ihres Landes förchterlich sein; aber außer ihrem Lande sind sie, nach dem Geständnis der erfahrensten hiesigen Offiziers, keine guten Soldaten. Sie bekommen, wie alle Bergbewohner, gerne das Heimweh, und das Eigentümliche ihrer von Jugend auf gewohnten Lebensart, welches sie in der Fremde entbehren müssen, macht sie oft in einem Feldzug unbrauchbar. Zum Glück hat ihr Landesherr mit der Erhaltung des Gleichgewichts unter den europäischen Mächten wenig zu schaffen. - Übrigens sind sie viel gefälliger und nicht so gewinnsüchtig wie die Landleute in den meisten Gegenden der Schweiz, die, so sehr sie allen Abgaben feind sind, die Fremden bei jeder Gelegenheit gerne in schwere Kontribution setzen. Ich habe häufige Proben, daß hiesige Bauern auf große Strecken mit mir gegangen sind, um mir den Weg zu zeigen, und mir noch mehrere kleine Dienste getan haben, ohne eine Belohnung annehmen zu wollen. Leb wohl.


In Pilatis "Reisen durch verschiedene Länder von Europa" erinnere ich mich eine Anekdote gelesen zu haben, welche die Intoleranz der Salzburger schildern soll. Es ist wahr, man schreit allen Leuten ohne Unterschied auf der Straße zu, sich vor dem heil[igen] Sakrament, wenn es in der Prozession oder zu einem Kranken getragen wird, niederzuknien, und die persönliche Grobheit des jetzigen Küsters macht es etwas zu auffallend. Auch hörte ich einige gutherzige Mädchen von einigen Protestanten, die sich auf eine kurze Zeit hier aufhalten und meine Freunde sind, mit dem Ton des innigsten Mitleids sagen: "Schade, daß sie Lutheraner sind!" Allein, das Niederknien vor dem Sakrament ausgenommen, welches jeder leicht vermeiden kann, weil man den Küster schon in großer Ferne schellen hört, wüßte ich nicht, was hier ein Protestant zu beförchten hätte. Unter dem Adel, der Geistlichkeit und der Kaufmannschaft gibt es vortreffliche Gesellschaften, worin man ohne Unterschied der Religion sehr wohl aufgenommen wird. In mehrern Gasthäusern kann man um Geld und gute Worte auf die Fasttäge Fleisch haben, und der Pöbel, der besonders in kleinen Residenzen sehr leicht den Ton des Hofes annimmt, hat unter der jetzigen Regierung viel von der heiligen Grobheit verloren, woran ihn die Bigotterie des vorigen Fürsten gewöhnt hatte.


Unter dem Adel, besonders den Domherren, gibt es nicht nur sehr gute Gesellschaften, sondern auch Leute, die sich durch ihre ausgebreiteten Kenntnisse sehr ausnehmen. Der jetzige Dompropst, ein Bruder des berühmten Grafen von Firmian, Vizegouverneurs von Mailand, ist mit den besten italienischen, französischen, deutschen und englischen Schriftstellern sehr genau bekannt. Die Sammlung der letztern ist in seiner ausgesuchten Bibliothek fast ganz vollständig. Er ist ein sehr liebenswürdiger Herr, der von den 20.000 Gulden, die ihm seine Pfründe einträgt, den besten Gebrauch zu machen weiß. Der Obersthofmeister des Fürsten, ein andrer Bruder des berühmten Vizegouverneurs, ist ein großer Liebhaber und Kenner von Gemälden. Seine reiche Sammlung von Porträten von Künstlern, meistens von ihnen selbst gemalt, ist, nach jener zu Florenz, einzig und gibt derselben wenig nach. Der Gram über einen der schrecklichsten Unglücksfälle, die einen Vater treffen können, hat seine Seelenkräfte sehr geschwächt und die unbeschreibliche und fast kindische Güte, die aus seinen Gesichtszügen leuchtet, mit einem kleinen Gewölke überzogen. Sein erster Sohn, der hoffnungsvollste Herr, war Domherr zu Passau, und die Familie konnte erwarten, in ihm mit der Zeit einen Bischof oder gar einen Erzbischof von Salzburg zu sehn. Der zärtliche Vater besuchte ihn und machte mit ihm eine Jagdpartie. Als sie auf einem Schlitten nach dem Gehölze fuhren, ging dem Vater die Flinte los, und die unglückliche Kugel fuhr seinem Sohn durch die Brust. Wie ein Rasender sprang er ins nahe Gebüsche, raufte sich die Haare und wälzte sich im Schnee. Mit Gewalt mußten ihn die Jäger von der Stätte bringen. - Ein Graf Wolfegg, Domherr, hat eine Reise durch Frankreich gemacht, um unsre Manufakturen und Handwerker zu studieren. Er ist mit allen unsern berühmten Künstlern, bekannt, und sein Lieblingsfach ist die Baukunst, worin er wirklich vortrefflich ist. Der Oberstallmeister, Graf von Küenburg, ist ein weitumfassender Kopf, äußerst gefällig, witzig und einnehmend im Umgang. Seine niedliche Bibliothek enthält alle unsere guten Schriftsteller, und bei ihrer Anlage ist kein "Index librorum prohibitorum" 12 zu Rate gezogen worden. Der Bischof von Chiemsee, Graf von Zeil, und noch viele andre vom hohen Adel sind wegen ihrer Kenntnisse und ihrer guten Lebensart verehrungswürdige Leute.


Der hiesige hohe Adel besteht größtenteils aus österreichischen Familien und zeichnet sich durch Herablassung, Weltkenntnis und Sitten von dem dummstolzen Trotz der bayrischen und schwäbischen Baronen auffallend aus. Aber der kleine hiesige Adel, der große Schwarm der kleinen Hofleute, macht sich durch seine erbärmliche Titelsucht und seinen elenden Stolz lächerlich. Du findest hier gegen hundert gnädige Herren, die von drei- bis vierhundert Gulden auf Gnade des Hofes leben und die du nicht gröber beleidigen kannst, als wenn du zu ihnen: "Mein Herr", oder zu ihren Weibern: "Madame", sagst. Man muß sich hier angewöhnen, immer über das dritte Wort "Euer Gnaden" zu sagen, um nicht für einen Menschen ohne Lebensart gehalten zu werden. Wegen der unbeschreiblichen Armut unter diesem Teil der Einwohner findet man eine Menge gnädiger Fräulein, welche die Dienste der Haushälterinnen und Barmherzigen Schwestern verrichten. Sie beklagen sich alle, daß ihnen der Hof keine hinlängliche Besoldung gibt, um ihrem Stand gemäß leben zu können. Ich hab aber nicht ausfindig machen können, was eigentlich ihr Stand sei. Fast alle haben weder Güter noch Kapitalien, und da sie es für eine große Erniedrigung halten, ihre Kinder zu Handwerkern, Fabrikanten, Künstlern oder Handelsleuten zu erziehen, so sieht sich der Hof genötigt, die Besoldungen so klein als möglich zu machen, um den vielen gnädigen und gestrengen Herren, von denen zwei Dritteile zu seiner Bedienung überflüssig sind, grade soviel geben zu können, daß sie nicht verhungern. Ihr Stand ist also nichts als der gute Willen des Hofes, eine große Menge unnützer Bedienten zu ernähren, und ihr kühnes Vertrauen auf diesen guten Willen.


Wenn man ihnen übrigens die gehörige Titulatur gibt, so sind sie die artigsten, geselligsten und dienstfertigsten Geschöpfe von der Welt. Sehr viele von ihnen beschäftigen sich auch mit der Lektur der deutschen und französischen Dichter, besonders jener, die für das Theater gearbeitet haben. Die Theaterwut herrscht hier so stark als zu München, und man lechzt nach der Ankunft einer fahrenden Schauspielergesellschaft wie im äußersten Sibirien nach der Wiederkehr des Frühlings. Ein französischer Ingenieur, in Diensten des Fürsten, hat ihnen ein niedliches Bühnlein gebaut, mit einigen säuberlichen Statuen und Säulen, die aber nichts zu tragen haben als ein dünnes Brett vor dem Vorhang mit dem Wappen des Fürsten.


Im ganzen glaube ich hier mehr Aufklärung bemerkt zu haben als zu München. Obschon der Landesherr ein Geistlicher ist, so gibt es hier nach dem Verhältnis der Größe beider Länder doch lange nicht so viele Klöster als in Bayern, und die hiesige Geistlichkeit zeichnet sich durch gute Zucht, Demut, Bestrebung, ihrem Beruf nachzukommen, und andre Tugenden von der bayrischen sehr aus. Man versteht hier die Regierungskunst unendlich besser als zu München. In Rücksicht auf den Kopf kann man von dem jetzigen Fürsten nicht Gutes genug sagen, aber - sein Herz kenne ich nicht. Er weiß, daß er den Salzburgern nicht sehr angenehm ist, und verachtet sie daher und verschließt sich. Ich glaube, die Vorwürfe, die man ihm macht, sind sehr übertrieben. Man will berechnet haben, daß er jährlich gegen 300.000 Gulden nach Wien an seine Familie schicke und dem Land also einen guten Teil seines Markes entziehe. Ein Teil der Landesstände, nämlich fast das ganze Domkapitel, hat beim Reichshofrat zu Wien einen Prozeß gegen ihn anhängig gemacht und besonders die Beschwerde angebracht, daß er aus ihrer Kasse gegen Scheine vieles Geld genommen und sie nun die Kisten, anstatt klingender Münze, voll Papier hätten, ohne abzusehn, wie es in bares Geld verwechselt werden könnte. Ich weiß nicht, inwieweit die Klagen des hochwürdigen Domkapitels gegründet sind, aber soviel ist gewiß, daß er in Rechtfertigung seiner selbst ungemein viel Feinheit und Verstand geäußert hat und daß einige Domherren gleich von Anfang seiner Regierung gegen ihn aufgebracht waren, weil sie sich Hoffnung zu der erzbischöflichen Würde gemacht hatten, die aber vom Hof zu Wien dem jetzigen Fürsten zugedacht war. Das, was er das Land genießen läßt, so wenig es auch sein mag, verwendet er wenigstens mit ungemein viel Verstand zum Besten desselben und gemeiniglich zu guten Erziehungsanstalten. Er schont seine Geistlichkeit nicht und hat den hiesigen Augustinern auf einmal gegen 100.000 Gulden weggenommen und die eine Hälfte dieser Summe für sich, die andere aber zum Genuß des Publikums bestimmt. Er ist in allem, sogar auch in seiner einzigen Passion, der Jagd, äußerst sparsam, und mit einem Bataillon wackerer Soldaten, einem der schönsten, die ich je gesehen, dessen Offiziers ihm sehr zugetan sind und welches ganz auf österreichischen Fuß gesetzt ist, kann er sich über alles Murren hinaussetzen.


Alles atmet hier den Geist des Vergnügens und der Lust. Man schmaust, tanzt, macht Musiken, liebt und spielt zum Rasen, und ich habe noch keinen Ort gesehen, wo man mit so wenig Geld so viel Sinnliches genießen kann. - Seit einiger Zeit soll die Venusseuche 13 stark eingerissen haben. Doch die vielen blühenden Gesichter der mannbaren Mädchen, deren Gürtel fast durchaus gelöset sind, macht mich glauben, daß bloß die Neuheit das Übel so groß macht. - Man spricht hier von religiösen und politischen Gegenständen mit einer Freiheit, die der Regierung Ehre macht, und in den Buchläden kann man wenigstens die deutschen Schriften fast ohne Einschränkung haben. - Einer der Haupttummelplätze der öffentlichen Lustbarkeit ist der eine Stunde von hier entlegene fürstliche Garten Hellbrunn, wo Bier und Wein geschenkt wird. Das Merkwürdigste in demselben einige vortreffliche Statuen von Marmor ausgenommen ist ein großer Park, in dessen Mitte sich ein waldichter Berg erhebt. Auf einer Seite bietet er eine schroffe Felsenstirne dar, die einer Herde Steinböcke zum natürlichen Aufenthalt dient und welche man wegen ihrer zunehmenden Seltenheit in den Gebirgen des Landes hier nachziehn will. Auf der entgegengesetzten Seite enthält dieser Berg in einer Kluft ein in den natürlichen Felsen gehauenes Theater, und auf der Vorderseite desselben steht im Schatten bejahrter Eichen und Buchen ein kleines Schloß, welches über einen Teil des Parks, den Garten und die Gegend umher bis zu den hohen Granitgipfeln gegenüber eine prächtige Aussicht beherrscht-. Am Fuß des Berges weidet eine ungeheure Herde Damhirsche, und in verschiedenen Nebenabteilungen werden andre Gattungen von Gewild aufbehalten. Auf der andern Seite stoßen an den Garten eine kostbare Fasanerie, Teiche für Biber und verschiedene Behältnisse für seltsame Tiere. Alles ist für jedermann offen.


Die hiesige Universität erhält sich durch die Kongregation der Benediktinerklöster, welche sie mit Lehrern besetzen. Den studierenden Untertanen der schwäbischen Reichsprälaten, die mit im Bund sind, dient es zu einer Empfehlung, wenn sie zu Salzburg absolviert haben, und außer diesen und den Eingebornen findet man wenig Studierende hier, obschon der größte Teil der Lehrstühle mit ausnehmend wackern Männern besetzt sind. Der Fonds der Universität ist zu klein, als daß alle die Fächer, worüber sich in unsern Zeiten das Reich der Wissenschaften ausgebreitet hat, gehörig besorgt werden könnten. Die sämtlichen Einkünfte derselben belaufen sich nicht viel über 5.000 Gulden.


Zu dem Nationalstolz, welcher unter diesem Völkchen herrscht, weiß ich nicht, was ich sagen soll. Mir ist alles, was zum Glück der Menschen etwas beiträgt, gewissermaßen ehrwürdig, so gering und unbedeutend es auch sein mag. Wie unglücklich wären wir, wenn man uns die Spiele und Täuschungen unserer Einbildung nehmen wollte. Die Einwohner dieser Stadt ärgern sich sehr darüber, wenn man sie Bayern heißt. Ich dachte, weil ihr Land im Kreis dieses Namens läge, so wären sie so gut Bayern, als die Württemberger Schwaben sind. Aber man belehrte mich sehr umständlich, daß die Vergleichung mit Schwaben nicht statthätte, weil kein einzler Teil desselben ausschließlich Schwaben hieße, daß der bayrische Kreis seinen Namen von dem Herzogtum hätte, weil es der größte Teil desselben sei, daß aber dieser Kreis im Grunde ebensogut der salzburgische heißen könnte. Man will hier mit den Bayern gar nichts gemein haben und setzt sie sehr tief unter sich. Etwas mehr Geschmack und gute Lebensart und etwas weniger Bigotterie muß man den Salzburgern vor den Bayern einräumen, aber daß man den Abstand so groß macht und die Bayern gar unter die Tiere heruntersetzt, das muß man der mächtigen Fee Phantasie zugut halten. Wenigstens sollten aber die hiesigen Herren und Damen bedenken, daß, wenn es jetzt hierzulande etwas heiterer ist als unter dem bayrischen Himmel, sie es bloß dem jetzigen Fürsten zu danken haben, der die magischen Dünste des Aberglaubens mit seinem geheiligten Stab aus seinem Gebiete verscheucht. Eine ebenso schnelle Revolution kann in kurzer Zeit die Bayern weit über ihren jetzigen Zustand hinaussetzen. Man hat hier noch Denkmäler genug von der Finsternis, die vor fünfzehn und zwanzig Jahren sich über den hiesigen Horizont gelagert hatte. Im hiesigen Gefängnis der Geistlichen sitzt noch ein Pfarrer, der, um seiner Gemeinde einen starken Haß gegen die Sünde und eine lebhafte Furcht vor der Hölle einzujagen, seinen Schulmeister als einen Teufel ankleidete, ihn unter der Kanzel versteckte und auf seinen Ruf mitten in der Predigt neben ihm erscheinen ließ, um Zeuge der Wahrheit zu sein.


Für einen Mineralogen und Botaniker wäre dieses Land äußerst interessant; es hat aber das Unglück, wenig bekannt zu sein, wenn das Geräuschmachen zum Glück der Menschen unumgänglich nötig ist. Dieser Schatz ist der Zukunft aufbehalten, wenn einmal das Land ein Genie erzeugt, das seine Aufmerksamkeit auf diese Gegenstände wendet, oder der Schwarm der müßigen Reisenden, welcher wechselsweise die Alpen, die Apenninen, den Ätna, die Pyrenäen usw. gleich den Heuschrecken überzogen hat, endlich einmal auch seinen Flug in dies Gebirge nimmt und durch sein Geschrei ein ausländisches Genie zur Untersuchung reizt. Das Zillertal ist besonders reich an verschiedenen Steinarten, und in verschiedenen Gegenden des Gebirges findet man von den seltensten europäischen Pflanzen. Über den Bau der Berge, über die Wirkungen und Produkten des Wassers in denselben und über ihre zu erwartende Revolutionen ließen sich hier herrliche Hypothesen spinnen.

Ich muß dir noch von einem Fürstentum des Heiligen Römischen Reichs Nachricht geben, von dessen Dasein schwerlich ein Geograph bei uns etwas weiß. Es ist das Fürstentum Berchtesgaden, welches ich dir auf der Spitze des Unterberges, der seine nördliche Grenze ist, zu einem flüchtigen Überblick schon gezeigt habe. Es besteht in einem kleinen, engen, mit den steilsten Felsen ringsum vermaurten Tale, welches kaum 3.000 Seelen enthält. Einige Seen nehmen den Boden des Tales ein, und eine ungeheure Waldung bedeckt die niedern Abhänge der Berge. Auf einer Insel des größten Sees hielten wir vor einigen Tagen ein herrliches Mahl mit Fischen aus demselben, einigen niedlichen Fleischgerüchten und kostbarem Tiroler Wein. In den tiefsten Schlünden und Klüften fehlt es hier an guten Köchen nicht. Die Natur des Landes ist weder dem Ackerbau noch einer einträglichen Viehzucht sehr günstig. Die Einwohner haben daher ihre Zuflucht zum Kunstfleiß genommen, der die Menschen in keinem Winkel der Erde darben läßt und sinnreich und mächtig genug ist, alles, auch die härtesten Steine, in Brot zu verwandeln. In diesem unbekannten Tale, Bruder, wird der größte Teil der Quincaillerie verfertigt, womit Nürnberg und Augsburg einen so ausgebreiteten Handel treiben. Die Steckenpferde, Raspeln, Kuckuck, hölzerne Männchen, Weibchen, Ratten, Mäuse und all das Spielwerk für kleine Kinder, die Kruzifixchen, beinerne Spielzeichen in den so niedlichen Strohkästchen, die Puder- und Pomadebüchsen und all das Spielzeug für die großen Kinder und, kurz, der größte Teil der Artikel, die man bei uns unter dem Titel der deutschen Ware begreift, kömmt aus diesem verborgenen Schlund. Es ist ein angenehmes Schauspiel, zwei bis drei Familien, von den fast unmündigen Kindern an bis zu den Greisen, in einer engen Hütte mit so seltsamen Produkten beschäftigt und die kleinsten Arbeiten von den plumpsten Bauernhänden verfertigen zu sehen. Wegen des erstaunlich geringen Preises ihrer Waren können sie zwar keine Reichtümer sammeln, aber sie nähren sich alle redlich und haben genug. Die guten Leute wissen nicht, daß ihre Produkten bis zu uns und mit großem Gewinn von den Spaniern nach Amerika und den Engländern nach Ostindien geführt werden. Ein kleiner Teil derselben beschäftigt sich mit dem Salzsieden; aber da sie diesen Artikel bloß durch Bayern ausführen können und dieses Land so überflüssig damit versehen ist, so müssen sie es um einen Spottpreis weggeben. Auch empfinden sie den Druck eines mächtigern Nachbars von der salzburgischen Seite. Salzburg soll seine Salzminen schon weit über die Berchtesgadner Grenze fortgesetzt haben, ohne daß man auf die Klagen dieses bedrängten Fürstentümchens achtet. Außer diesem Tal, welches die unmittelbaren Reichs- und Kreislande der gefürsteten Propstei ausmacht, besitzt sie noch einige Güter in Österreich und Bayern, und ihre sämtlichen Einkünfte mögen sich auf ohngefähr 60.000 Gulden belaufen. Durch die Verschwendung einiger ehemaligen Pröpste ist sie in drückende Schulden geraten.






1Durchmesser

2die zur Königswahl Berechtigten. Seit dem 13. Jahrhundert die Erzbischöfe von Mainz, Köln und Trier, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg und der böhmische König. Im 17. Jahrhundert kamen Bayern und Braunschweig-Lüneburg hinzu, das böhmische Kurrecht ruhte seit dem 15. Jahrhundert.

3frz. - Journal vom Tage

4frz. Naturforscher, + 1788

5Fluß in Spanien

6schweizerisches Kanton

7Zinkerz

8enge Schlucht

9der Salzburger Fürstbischof vertrieb 1731/32 etwa 30.000 Protestanten aus dem Land

10Augsburgische Konfession 1530, helvetische K. 1536

11taktisch klug, diplomatisch

12Verzeichnis der für Katholiken verbotenen Bücher, bestand bis 1965

13Syphilis