Walpurga, die taufrische
Amme von Berthold Auerbach, im
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werden.
Walpurga, die taufrische Amme
Der Bauer nieste.
Die B�uerin blickte stolz auf ihre stattliche Tochter Walpurga,
als wollte sie sagen: Welch ein weltkluger Mann.
Der Bauer schien befriedigt von dem Eindrucke seiner �u�erung. Er
f�gte hinzu:
"Und noch ein gutes Wort will ich dir f�r deine Reise schenken: Du
sollst nicht stehlen!"
Die B�uerin gl�ttete ihre bl�tenwei�e Sch�rze; ihr war es, als
h�tte sie den Geist ihres Mannes niemals genug gew�rdigt. Nun
w�nschte sie, alle Nachbarn k�nnten es h�ren, wie warmherzig und
neudenkend der Bauer gesprochen.
Jetzt ergriff Walpurga ihr B�ndel und das Wort: "Lebt wohl, ihr
Lieben, Guten! Und ich m�chte es, was mein Herz so voll macht,
noch anders ausdr�cken. Also: Auf Wiedersehen. Oder noch anders:
Beh�t' euch Gott. Oder noch anders: Adieu!"
Die B�uerin blickte auf ihren Mann, als meinte sie: "Was sagst du
zu solchem Sinnreichtum?" Doch der Bauer verwies ihr das
Vielreden.
Walpurga verlie� die wohnhafte Stube, nachdem sie noch ihrem
Muttersmann und ihrer Vatersgattin einige herzfrohe Bemerkungen
zur�ckgelassen hatte. Sie ging starkgeistigen Schrittes zwischen
H�hnern und G�nsen die d�ngerduftige Dorfstra�e hinab und zum
Dorfe hinaus. Alle Leute gr��ten das taufrische M�dchen; denn sie
war f�rstliche Amme geworden.
Drau�en, unter der alten Linde, erwartete sie einer. Es war der
Joseph vom Breunerhof. Dessen Jacke war schwarz vom Kohlenru�, und
auch sein Gesicht zeigte, um die Augen herum Streifen von
Kohlenru�. Walpurga schlo� scharfsinnig, da� er geweint und sich
mit den �rmeln der Jacke die Augen gewischt habe. �brigens hatte
sie es gesehen.
"M�dle", rief er aus tiefster Brust, "f�hlst du denn kei' Reu' in
deinem Herze?"
Walpurga blieb stehen. Joseph sah aus dem feuchten Glanze ihrer
Augen, da� ein sch�ner Gedanke in ihr neu entstanden war. Noch
suchte sie vergebens, ihn zu formen. Jetzt zuckte es um ihre
Lippen, jetzt r�teten sich vor Freude ihre Wangen. Sie hatte die
Form gefunden und sprach:
"Guten Morgen, Joseph."
Joseph rieb die Handfl�chen zusammen, um sich Mut zu machen; dann
sprach er:
"Ich geh' ins Wasser, wenn du f�rstliche Amme wirst! Schau, M�dle,
ich glaube ja an dich und deine Reinheit, aber die b�sen anderen,
besonders der Gruber mit der platten Nase, die h�nseln mich und
sagen: Ein rechter Bub soll keine Amme lieben. Gelt, du tust mir
die Lieb' und wirst nit Amme?"
Walpurga blickte erst sanft und still auf sich Selbst, auf ihre
kindlich schlanke Gestalt, dann hob sie die Augen gegen ihn und
schaute zu ihm empor so keusch, da� er erschrak.
"Du St�rmischer", sprach sie, "du Wilder und doch Guter, Reiner!
Sie haben dich bet�rt. Ich nenne sie die Pessimisten. Sie haben
dein reines Herz gefangengenommen. Sie haben dir gesagt, da� ich
deiner nicht wert sei."
Walpurga warf ihren blonden Zopf nach r�ckw�rts, als wollte sie
sagen: So verachte ich euch! Dann fuhr sie fort: "Dir allein will
ich sagen, wie ich es zur f�rstlichen Amme gebracht habe. Der
F�rst wollte f�r seinen zu erwartenden hohen Spr��ling eine Amme,
deren kindliches Gem�t noch durch keinen Schatten von Leidenschaft
getr�bt war, damit der S�ugling rein erhalten bleibe. Es wurde
also ein braves M�dchen gesucht, das noch nie einen Fehltritt
begangen, noch nie seine Eltern gekr�nkt hatte. Sie durfte noch
nie krank gewesen sein und mu�te die besten Schulzeugnisse
aufzuweisen haben. Du kennst mich, Joseph, ich war immer die beste
Sch�lerin im Sch�nschreiben: darum mu� ich als Amme gehen."
Joseph schaute bewundernd zur Sprecherin hinunter; Walpurga freute
sich, da� er sie weitersprechen lie�, und fuhr fort.
"H�tte ich etwa die hohe Ehre ausschlagen sollen? Nein, Joseph,
auch ich f�hle etwas vom Hauche der neuen Zeit in meinem Herzen.
Des neuen deutschen Reiches Herrlichkeit ist mir aufgegangen, als
mein Vater zu mir sagte: Geh und n�hre die Zukunft deines Landes!
H�tte ich vielleicht das hohe Amt von mir weisen sollen? Nein,
Joseph, du wirst nicht verlangen, da� ich des Vaterlandes nur
einen Augenblick lang vergesse, um einem Einzelnen zu gen�gen! Ich
f�hle mich in diesem Augenblicke alleins mit dem Ganzen, ich f�hle
die Ganzheit in mir. O mein Spinoza! Joseph, v�llig verstehst du
mich nicht!"
"Da hast du ein sch�nes Wort gesprochen", sprach Joseph traurig.
"Wenn du mich aber nicht zum Optimisten machst, so da� ich deinen
Worten glauben kann, so bleibt mir doch nichts �brig, als ins
Wasser zu geben."
Joseph hatte noch einen guten Einfall. Aber derselbe kl�rte sich
zu keinem festen Gedanken. Darum ging Joseph seiner Wege, um ein
Wasser zu suchen, darin zu ertrinken ...
Walpurga aber gefiel bei Hofe gar herzlich. Sie kannte die Welt
nicht, sie wu�te nichts von Liebe, nichts von Luxus, nichts von
Anstand. Sie war eine taufrische Amme.
Der hohe S�ugling und seine Amme konnten miteinander zufrieden
sein. Er lachte �ber alles, was sie ihm erz�hlte, und sie h�rte
nicht auf, derb und kr�ftig mit ihm zu schwatzen. Manches gute
Wort h�rte er da von seiner zweiten Mutter.
Wenn er aber schlief und ihr dann verboten war zu schwatzen, da
schlich sie sich hinaus, setzte sich in das tragfeste Gezweig
eines alten f�rstlichen Birnbaumes und schrieb so ihre besten
Einf�lle nieder.
Aus dem Tagebuch Walpurgas.
Zweimal zwei ist vier. Bei uns!
Ob auch anderswo?
Es gibt arme Leute und reiche Leute auf Gottes allfreier
Welt. Wohl dem, der es nicht ist.
Es ist eine �hnlichkeit zwischen dem Boden der f�rstlichen
S�le und dem winterlichen Eise auf dem Dorfteich. Wer
ausgleitet, f�llt hin. Es gibt auch einen Unterschied. Welchen
aber?
Wir sind alleins, ich und jedes. Selbst ein Floh hat teil an
mir, und wenn man ihn qu�lt, so tut es mir weh, als gesch�he mir
selbst ein Leid. Freili nit so stark.
Mein hoher S�ugling war heute sehr durstig. Ich aber sage:
Gut und Milch f�r K�nig und Vaterland! Ein gutes Wort, das ich
einst meinen Kindern hinterlassen will.
Ich wollte, ich h�tte Papier genug, um all die
warmquellenden, sch�nen Worte aufzuschreiben, die mit einfallen.
Alles hat mich hier lieb, um meiner Naivit�t willen. Um mir
dieselbe zu erhalten, lese ich t�glich gute Dorfgeschichten oder
gediegene Werke �ber die naive Volksseele.
Heute bewunderte der Herr Hofdichter meine Bemerkung: "Alte
Liebe rostet nicht." Ein sch�nes Wort; ich schenkte es ihm.
Ich habe Heimweh. Heute sah ich auf der Spazierfahrt ein
Ochsengespann vor einem Heuwagen. Ich mu�te an Joseph denken und
sein Mi�trauen.
Was war in der langen Zeit aus Joseph geworden?
Kaum hatte Walpurga von ihm Abschied genommen, als er daran ging,
den Tod in den Wellen zu suchen.
Er ging zum Dorfteich. Da fiel ihm ein, da� dort die Pferde zur
Tr�nke gingen, und er wollte ihnen ihr Wasser nicht verunreinigen.
Er ging zum Forellenbach. "Die waltende Nemesis", rief er. "Die
Fische sollen mich verzehren, die ich mit solcher Lust vernichtet
habe." Und er legte sich in den Bach und hielt den Kopf unters
Wasser. Als aber sein Atem zu stocken begann, stieg er wieder ans
Land.
Er folgte dem Bach bis zum n�chsten Flu�. Da fiel ihm ein, man
w�rde glauben, er habe geglaubt, man w�rde ihn wieder aus dem
Wasser ziehen; denn der Flu� war sehr belebt. Er aber wollte nicht
als verungl�ckter Selbstm�rder sein Leben verbringen und folgte
dem Flusse bis zur Hauptstadt.
Dort steht er auf der Br�cke und nimmt bereits die schickliche
Stellung ein, um hineinzutauchen in die feuchte Urmutter des
Lebens. Da naht ein f�rstlicher Wagen. Es ist Walpurgas letzte
Ausfahrt mit dem hohen S�ugling, der morgen schon seiner Amme vom
Busen gerissen werden soll. Walpurga blickt in eine freudenlose
Zukunft. Dabei ist ihre Erscheinung so unschuldig, so
ungeboren-rein, da� der Hofdichter ihr den �bernamen "Walpurga,
die taufrische Amme" auferfunden hat. Da erschaut sie ihren
Joseph, der zum letztenmal die kleine Barschaft nachz�hlt, die er
in das Reich der All-Einheit mitnehmen will.
"Joseph!" ruft sie. "Hier ist dei M�dle!"
Joseph blickte sich um. Er sah den hohen S�ugling an dem zarten
Busen des taufrischen M�dchens, er sah die Zukunft des Vaterlandes
eins geworden mit dem jungfr�ulichen Ziele seiner selbstischen
Sehnsucht, er sah sich begnadigt, verwandt zu werden den h�chsten
Gef�hlen des Patrioten durch seinen Glauben an Walpurga. Er konnte
sein trunkenes Auge nicht trennen von dem hohen S�ugling und
seinem zaghaft wogenden Lager. Auf die Knie st�rzte er hin, und es
rief aus ihm:
"M�dle, M�dle, du bischt die reinste Amme meines ganze Lebens!"
Der hohe S�ugling l�chelte den Gl�cklichen, Seligen huldvoll zu.
Langsam lie� er sein zukunftsreiches H�ndchen von dem zart
knospenden Pf�hl heruntergleiten, auf welchem es geruht, zweimal
wischte er sich mit dem R�cken des H�ndchens den feingeschnittenen
Mund und sagte: "Es ist doch ein t�chtiges Volk."
Das war ein gutes Wort.
